Aufbau von Zahlvorstellungen

Aufbau von Zahlvorstellungen

Allgemeines zur Zahlvorstellung

Der Aufbau von Zahlvorstellungen stellt neben den Operationsvorstellungen und Zahlenrechnen eine kritische Stelle im Lernprozess der Kinder dar. Um ein tieferes mathematisches Verständnis aufzubauen, sollten die Zahlvorstellungen demnach vielfältig und tragfähig entwickelt werden. Dabei sind beziehungsreiche Vorstellungen zwischen Zahlen von zentraler Bedeutung und wichtig für den weiteren Lernprozess. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 16f.)
Für einen umfassenden Zahlbegriff müssen mit den Kindern verschiedene Zahlaspekte schrittweise erarbeitet und miteinander verknüpft werden:

  • Kardinalzahlaspekt (Mengenvorstellung)
    Beispiel: „Hier liegen 4 Bauklötze.“
     
  • Ordinalzahlaspekt (Zahlen als Positionen)
    Beispiel: „Heute ist der 10. Juni.“
     
  • Maßzahlaspekt (Größeneinheiten)
    Beispiel: „Mein Schulweg ist 2 km lang.“
     
  • Operatoraspekt (beschreibt eine Vielfachheit einer Handlung)
    Beispiel: „Klatsche dreimal in die Hände.“
     
  • Rechenzahlaspekt (Zahlen werden zum Rechnen genutzt)
    Beispiel: 8 + 5 = 13

(vgl. Benz/ Padberg 2011, S. 14f.)

Die Grundvorstellungen von Zahlen ermöglichen eine Übersetzung zwischen verschiedenen Darstellungen und werden benötigt, um beispielsweise einer Menge das entsprechende Zahlwort zuzuordnen (Zahlauffassung) bzw. zur Zahldarstellung, indem einem Zahlwort eine passende Menge zugeordnet wird (vgl. Wartha/Schulz 2013, S. 34).

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Abb. 1: Verschiedene Repräsentationen von Zahlen
(In Anlehnung an: Rottmann 2016, S. 15 )

 

 

Zählkompetenz als Grundvoraussetzung

Schon bevor Kinder in die Schule kommen, haben sie in der Regel bereits viele mathematische Erkenntnisse gewonnen und nehmen Zahlen in ihrer Umwelt wahr. Mit dem Kennenlernen der ersten Zahlen beginnt der Prozess der Zählentwicklung. Für den weiteren Aufbau der Zählkompetenz sind die Einsichten in die Zählprinzipien von Bedeutung:

  • das Eindeutigkeitsprinzip (jedem Element wird genau ein Zahlwort zugeordnet)
  • das Prinzip der stabilen Ordnung (die Reihe der Zahlwörter hat eine feste Ordnung)
  • das Kardinalzahlprinzip (das zuletzt genannte Zahlwort gibt die Menge der abgezählten Menge an)
  • das Abstraktionsprinzip (jede beliebige Menge kann gezählt werden, es ist nicht wichtig, von welcher Art die Objekte sind) und
  • das Prinzip der Irrelevanz der Anordnung (die Anordnung der zu zählenden Objekte ist für das Ergebnis irrelevant)

Kinder beachten diese Prinzipien vorerst noch implizit, jedoch werden sie sich dieser im Laufe der Zählerfahrungen immer mehr bewusst. Fortschritte und Verbesserungen in der Zählfähigkeit zeigen sich durch schnelleres und bewussteres Zählen (abnehmende Koordinationsfehler zwischen der Zahlwortreihe und den zu zählenden Objekten) (vgl. Benz/ Padberg 2011, S. 9).
Zudem beinhaltet das deutsche Zahlwortsystem auch Unregelmäßigkeiten in der Bildung der Zahlworte. Beispielsweise die Zehnerzahlen, die den Zahlen des ersten Zehners entsprechen, werden mit der Endung “-zig“ gebildet, wobei hier die Ausnahmen u.a. zwanzig und nicht zweizig, dreißig und nicht dreizig zu finden sind und auch gelernt werden müssen, was weitere besondere Anforderungen an die Kinder stellt (vgl. Moser Opitz/ Scherer 2010, S. 106). „Eine wichtige Voraussetzung, um Anzahlen und Zahlwörter miteinander in Verbindung zu bringen, ist die sichere verbale Zählkompetenz.“ (ebd., S. 105)

 

Feststellung einer einseitig ausgebildeten Zahlvorstellung

Nicht alle Kinder bilden beziehungsreiche Vorstellungen über Zahlen aus. Kinder, die Schwierigkeiten beim Mathematiklernen haben, nutzen oft das Abzählen der Zahlwortreihe, um die Zielzahl zu erreichen. Dabei werden Zahlen als feste Position wahrgenommen und keine Orientierungen auf der Zahlwortreihe (z.B. Zehnerzahlen) genutzt (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 16f.).
Um eine mögliche einseitig ausgebildete Zahlvorstellung zu diagnostizieren, eignen sich Aufgaben, in denen Kinder versuchen sollen, Zahlen zu erklären. Das gelingt z.B. durch die Aufgabe einem fremden Kind, welches die deutsche Sprache nicht kennt, zu erklären, „was die Zahl 3 ist und wie viel 3 ist“. Typischerweise zeichnen Kinder, die bisher über eine eingeschränkte Zahlvorstellung verfügen, als Antwort das Abbild der Ziffer 3 (vgl. Abb.2). Daran wird deutlich, dass die Kinder die 3 als bloße Ziffer verstehen, sich aber nicht über die Menge hinter dieser Zahl bewusst sind, also noch über keine quantitative Mengenvorstellung verfügen. (vgl. Schipper 2005, S. 54f.)

 


Abb. 2: Schülerdokument „Was ist die 3, wie viel ist 3?“
(In Anlehnung an: Schipper 2005, S. 54)

 

 

Literatur:

Benz, Christiane/ Padberg, Friedhelm (2011): Didaktik der Arithmetik. Für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung. 4. Auflage, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Marcus (2012): Fördern im Mathematikunterricht. Heft 4. Frankfurt am Main: Grundschulverband.

Moser Opitz, Elisabeth/ Scherer, Petra (2010): Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Schipper, Wilhelm (2005): Modul G4: Lernschwierigkeiten erkennen - verständnisvolles Lernen fördern. Kiel.

Wartha, Sebastian / Schulz, Axel (2013): Rechenproblemen vorbeugen, 2. Auflage, Berlin: Cornelsen.

 

Ordinales & kardinales Zahlverständnis

Um eine tragfähige Zahlvorstellung zu entwickeln, ist es wichtig, dass Kinder nicht nur einseitige Fähigkeiten aufbauen, wie die Zahlwortreihe zu beherrschen und Positionen von Zahlen (ordinaler Zahlaspekt) zu bestimmen, sondern auch vielfältige Zahlvorstellungen ausbilden und nutzen. Dazu müssen die verschiedenen Zahlaspekte differenziert aufbereitet und anschließend auch miteinander verknüpft werden. Solch eine relationale Verknüpfung der Grundvorstellungen – dem ordinalen und dem kardinalen (Zahlen als Mengen) Zahlaspekt – geschieht allerdings nicht automatisch, sondern muss von jedem Kind in einem konstruktiven Prozess selbst hergestellt werden. Die aktive Auseinandersetzung mit den Anschauungsmitteln allein ist dabei nicht ausreichend. Vielmehr müssen die Veranschaulichungen zum Nachdenken anregen. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 17).

 

Der ordinale Zahlaspekt

Das ordinale Zahlverständnis beschreibt die Einsicht in den Reihenaspekt der Zahlen. Dabei wird eine Zahl vor allem als Position in der Zahlwortreihe verstanden und hat einen festen Platz in der Zahlreihe. Beim Abzählen in der Reihenfolge werden Zahlen als Zählzahlen genutzt. Besonders deutlich wird der ordinale Zahlaspekt mit den Fragen „ An welcher Stelle?“ oder „Der wievielte?“, wobei das Ergebnis „erster, zweiter, dritter...“ benannt wird. Hier werden Zahlen als Ordnungszahlen verstanden (vgl. Benz/ Padberg 2011, S. 14). Das Verständnis des ordinales Zahlaspekts wird umso besser ausgebaut, je flexibler die Zahlwortreihe genutzt werden kann. Durch das Zählen in Schritten u.a. in Zweier- und besonders auch in Fünfer- und Zehnerschritten wird das Verständnis des Zahlenraums und des Zahlsystems erweitert, welches grundlegend für den Aufbau des Verständnisses des Stellenwertsystems ist und dieses vorbereitet. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 50)

 

Förderung der ordinalen Zahlvorstellung

Um das ordinale Zahlverständnis bei Kindern zu fördern und weiter auszubauen, eignen sich vor allem Aufgaben und Materialien, bei denen die Zahlen in einer Reihenfolge behandelt werden. Als Anschauungsmaterial bietet sich dafür die Zahlenreihe, z.B. die Zwanziger- oder Hunderterreihe oder die Hundertertafel an, mit deren Hilfe Positionen in einer Reihe abgebildet und bestimmt werden können. Durch beispielsweise einen Zahlenstrahl, Rechenstrich oder Zahlenfolgestreifen (vgl. Abb. 3) können lineare Positionen von Zahlen verortet werden. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 50)

Bei den genannten Materialien werden Zahlen auch immer in Abhängigkeit von anderen Zahlen betrachtet, wodurch beziehungsreiche Vorstellungen geschaffen werden können. Gleichermaßen sollte das Zählen vorwärts, rückwärts und das Zählen in Schritten trainiert werden, damit die Zahlwortreihe flexibler genutzt werden kann.

 


Abb. 3: Schülerdokument Zahlenfolgestreifen

 

Der kardinale Zahlaspekt

Unter dem kardinalen Zahlaspekt wird der Mengenaspekt verstanden, also die Mengenbestimmung. Der kardinale – wie auch der ordinale – Zahlaspekt ist für mathematische Einsichten von zentraler Bedeutung. Von den Kindern muss verstanden werden, dass „die Mächtigkeit einer Menge mit einer Zahl ausgedrückt werden kann“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 17). Dies stellt beim Mathematiklernen oft eine Schwierigkeit dar. Die Einsicht, dass größere Mengen über Zählprozeduren ermittelt werden müssen, ist der erste Erkenntnisschritt zum kardinalen Verständnis (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbürger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 50). „Für den Aufbau des Anzahlbegriffs ist es wichtig, dass die Kinder vielfältige Zählerfahrungen machen und in verschiedenen Kontexten zur Anzahlbestimmung aufgefordert werden“ (ebd., S. 50). Daneben erlauben strukturierte Zahldarstellungen eine quasi-simultane Anzahlerfassung (durch Ausnutzen von Strukturen „auf einen Blick“) und helfen bei der Weiterentwicklung von Zählstrategien.

Zur Verdeutlichung des ordinalen und kardinalen Zahlaspekts:

 

aufbau-zahlenvorstellungen_ordinales-kardinales-zahlverstaendnis_abb02.jpgAbb. 4: Grundvorstellungen zu natürlichen Zahlen. (In Anlehnung an: Wartha/ Schulz 2013, S. 34)

 

Förderung der kardinalen Zahlvorstellung

Zur Förderung des kardinalen Zahlverständnisses eignen sich besonders Materialien, die eine aktive Auseinandersetzung durch konkrete Handlungen ermöglichen und durch die die Menge einer Zahl sichtbar wird, wie z.B. Plättchen oder Punktefelder. An Punktefeldern – wie etwa dem Zwanzigerpunktefeld oder dem Hunderterpunktefeld (vgl. Abb. 5) – können verschiedene Anzahlen erkundet und bestimmt werden. Auf Punktefeldern wird demnach keine Zahl auf einer Linie dargestellt (keine Position), sondern sie bilden eine Menge (Anzahl) an Punkten ab. Zudem eignet sich dieses Material nicht nur um Zahlen, sondern auch um Operationen darzustellen sowie vielfältige Beziehungen zwischen Zahlen zu deuten (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 26). Die Darstellung einer Zahl auf dem Punktefeld kann von Kindern unterschiedlich interpretiert bzw. zerlegt werden, wodurch u.a das Teile-Ganzes-Prinzip deutlich wird, welches zur kardinalen Zahlvorstellung beiträgt. Kinder sollten verinnerlichen, dass bei unterschiedlichen Zerlegungen einer Zahl mit unterschiedlichen Mächtigkeiten trotzdem die Gesamtzahl – die Gesamtmenge – konstant bleibt (vgl. ebd., S. 26).

 

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Abb. 5: Hunderterpunktefeld
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Abb. 6: Zahldarstellungen am Zwanzigerfeld.
(In Anlehnung an: Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 26)

 

Linktipp: Teile-Ganzes-Verständnis

 

Verknüpfung der ordinalen und kardinalen Zahlaspekte

Sowohl die Vorstellungen von Zahlen „als Positionen bzw. die Relationen zu Positionen als auch als Mengen bzw. die Relationen zwischen Mengen“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S.17) müssen bei der Entwicklung des mathematischen Verständnisses ausgebildet werden. Wichtig dabei ist, dass die beiden Zahlaspekte auch miteinander verknüpft werden, damit Kinder eine tragfähige Zahlvorstellung entwickeln und Zahlen nicht nur einseitig verstehen. Wenn alle Zählprinzipien verstanden worden sind, können Zusammenhänge auch beim Zählen festgestellt werden: Objekte können durch die ordinale Zahlwortreihe gezählt werden, wobei das letztgenannte Zahlwort kardinal die Menge angibt (vgl. Wartha/ Schulz 2013, S. 34). „Im Hinblick auf tieferes Verständnis von mathematischen Zusammenhängen ist diese relationale Verbindung von Zählen und Mengenvorstellung eine entscheidende Stelle“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S.17).

Die Verknüpfung der beiden Zahlvorstellungen muss im Unterricht in aktiver Weise unterstützt und angeregt werden (vgl. ebd., S. 17). Beispielsweise kann solch eine Verknüpfung durch Wendekarten (vgl. Abb. 7) erfolgen, bei denen jeweils auf der einen Seite eine Zahl als Ziffer und auf der anderen Seite dieselbe Zahl als Punktemuster abgebildet ist. Mit dem Legen und Ordnen der Karten wird somit der Ordinalzahlaspekt durch die Reihenfolge der Zahlen deutlich und wird gleichzeitig als Menge durch die Punktemuster ersichtlich (vgl. Benz/ Padberg 2011, S. 55). Anhand von gezielten Fragen und Erkundungen kann so eine erfolgreiche Verknüpfung hergestellt werden.

 

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Abb. 7: Verknüpfung des ordinalen und kardinalen Zahlaspekts durch Wendekarten
(In Anlehnung an: Benz/ Padberg 2011, S. 55)

Ähnliche Vorgehen sind auch bei weiteren Aufgaben möglich, indem beispielsweise eine Additionsaufgabe (symbolisch) mit Plättchen visualisiert wird, und so die Teilmengen der Summanden und schließlich auch die Summe sichtbar werden.

Ebenso kann bei einer Aufgabe der Fokus auf die ordinale oder kardinale Vorstellung ausgelegt werden, je nachdem welche Grundvorstellung aktiviert werden soll:

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Abb. 8: Aufgabenstellung mit Fokus auf ordinalem und kardinalem Aspekt (In Anlehnung an: Wartha/ Schulz 2013, S. 35)

 

Linktipp: Recheninstitut.at: „Zahlenraum 10“

 

Literatur:

Benz, Christiane/ Padberg, Friedhelm (2011): Didaktik der Arithmetik. Für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung. 4. Auflage, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Marcus (2012): Fördern im Mathematikunterricht. Heft 4. Frankfurt am Main: Grundschulverband.

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Markus/ Moser Opitz, Elisabeth/ Wittich, Claudia (2015): Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. 3. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

Wartha, Sebastian/ Schulz, Axel (2013): Rechenproblemen vorbeugen. 2. Auflage, Berlin: Cornelsen.

 

Erkennen und Darstellen von Zahlen

Darstellungsformen

Zahlen können in unterschiedlichen Formen wie Handlungen, Bilder, Sprache und schriftliche Symbole dargestellt werden. Diese Formen werden unter dem sogenannten „EIS-Prinzip“ zusammengefasst:
Ein konkretes (haptisches) Handeln mit einer Menge von Objekten wird als Enaktiv (E), die bildliche Darstellung von Objekten wird als ikonisch (I) und die Darstellung durch konkrete Ziffern wird als symbolisch (S) bezeichnet. Die Verknüpfung und Übersetzung der verschiedenen Darstellungsformen ist für ein vertieftes Verständnis von Zahlen grundlegend. Die Deutungen und Verbindungen zwischen Handlung, bildlicher Darstellung und Symbol müssen von Kindern in einem Prozess selbst hergestellt werden und dienen der Entwicklung von Grundvorstellungen (Zahlvorstellung). Eine Verknüpfung der unterschiedlichen Darstellungsformen sollte im Unterricht aktiv gestaltet werden. (vgl. Benz/ Padberg 2011, S. 35)

 

Simultane und Quasi-simulatane Anzahlerfassung

Eine simultane Anzahlerfassung beschreibt die Kompetenz, dass Anzahlen von bis zu vier Elementen „auf einen Blick“ erfasst werden können, wobei eine Anzahl nicht durch Zählen bestimmt wird. Diese Fähigkeit erlernen Kinder in der Regel bereits im Vorschulalter (vgl. Benz/ Padberg 2011, S. 17). Größere Mengen müssen dann durch Zählen bestimmt werden, da die simultane Zahlauffassung auf wenige Elemente beschränkt ist. Durch verschiedene Zählanlässe können Kinder die Zählstrategien flexibilisieren und weiterentwickeln. Allerdings sollte die Anzahlerfassung nicht ausschließlich durch Zählen bestimmt werden können, sondern es sollten auch nichtzählende-Strategien mit den Kindern erarbeitet werden. Daher sind Strukturierungen einer vorgegebenen Menge von großer Bedeutung. (vgl. ebd., S. 36) Dafür bieten sich Aufgabenstellungen an, bei denen z.B. Plättchen in verschiedenen Figuren gelegt werden sollen, wobei erkannt wird, dass eine Menge aus Plättchen verschiedenen strukturiert werden kann. So können nichtzählende-Zahlauffassungen gefördert werden.
Wenn Strukturen von Mengen wahrgenommen werden, werden nicht mehr alle Elemente einzeln abgezählt, sondern die Zahl kann aus verschiedenen Teilmengen aufgebaut werden (Teil-Ganzes-Beziehung) und Kinder können sich somit von einer zählenden Anzahlerfassung lösen. Durch die quasi-simultane Anzahlerfassung können auch größere Anzahlen unter Ausnutzung von Strukturierungen „auf einen Blick“ erkannt werden. Um diesen Prozess zu unterstützen, sollten didaktische Arbeitsmaterialien wie u.a. das Zwanzigerfeld, bei dem Fünfer- und Zehnerstrukturen vorhanden sind (vgl. Abb. 9), genutzt werden. (vgl. ebd., S. 36f.) Dabei muss aber auch beachtet werden, dass Darstellungen mathematischer Beziehungen und Strukturen mehrdeutig sind und Kinder diese unterschiedlich betrachten und interpretieren (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 60f.).

 

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Abb. 9: Zwanzigerfeld

 

„Die zentralen strukturierten Zahldarstellungen sollen schließlich zu mental verfügbaren Stützpunktwissen automatisiert werden“ (ebd., S. 78), damit diese neben der schnellen Erfassung von Anzahlen auch selbstständig genutzt werden, um eigene Mengen darzustellen. Impulse, mit denen die strukturierte Zahldarstellung gefördert werden kann, sind z.B. „Kannst du die Plättchen […] auch so legen bzw. zeichnen, dass man schnell erkennen kann wie viele du gelegt bzw. gezeichnet hast?“, „Kann man auch ohne zu zählen erkennen, wie viele das sind?“ und nach einer möglichen Umstrukturierung „Warum kann man das jetzt besser sehen?“ (Benz/ Padberg 2011, S. 38).

 

Literatur:

Benz, Christiane/ Padberg, Friedhelm (2011): Didaktik der Arithmetik. Für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung. 4. Auflage, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Markus/ Moser Opitz, Elisabeth/ Wittich, Claudia (2015): Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. 3. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

 

Erkennen und Nutzen von Zahlbeziehungen

Um beziehungsreiche Vorstellungen von Zahlen zu entwickeln, die wesentlich für das Zahlverständnis sind, sollten Zahlen nicht isoliert, sondern in Abhängigkeit zu anderen Zahlen betrachtet werden. „Beziehungen zwischen den Zahlen werden […] bei der Zählentwicklung ausgebildet und bei der Entwicklung des flexiblen Zählens genutzt.“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger 2012, S. 17)
Eine Zahl steht in vielfältigen Beziehungen und Zusammenhängen zu anderen Zahlen. Beispielsweise gibt es zu jeder Zahl einen Vorgänger und einen Nachfolger, Nachbarzehner, das Doppelte und die Hälfte, verschiedene Zahlzerlegungen und eine Zahl ist größer oder kleiner als eine andere Zahl. Wenn Kinder die Beziehungen erkennen, helfen diese später auch bei den flexiblen Rechenstrategien und dem geschickten Ermitteln von Lösungen, ohne auf das zählende Rechnen zurückgreifen zu müssen. Besonders für Kinder mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen ist es notwendig, den Fokus gezielt auf die Erkundungen von Strukturen, Beziehungen und Zusammenhängen zwischen Zahlen zu legen.

 

Vergleichen

„Zahlen sind letztlich nur über Vergleiche zu fassen und zu verstehen, in ihrem Verhältnis zueinander“ (Gaidoschik 2007, S. 22). Grundlegend dafür sind die Vergleichsbegriffe „mehr“, „weniger“ und „gleich viel“, die zu einem tragfähigen Zahlverständnis beitragen. Beim Anzahlvergleich entsprechen diese drei Begriffe den drei Möglichkeiten einer zugrundeliegenden Eins-zu-Eins-Zuordnung:

  • „gleich viel“: ein Element der einen Menge kann genau einem Element der anderen Menge zugeordnet werden
  • „mehr“: eine Menge enthält mindestens ein Element mehr, das in einer anderen Menge nicht vorhanden ist
  • „weniger“: die andere Menge ist darausfolgend weniger

 

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Abb. 10: Vergleich von zwei Mengen. (In Anlehnung an Gaidoschik 2007, S. 24)

 

Durch den direkten Mengenvergleich werden vor allem kardinale Beziehungen zwischen Zahlen betrachtet. Kinder entscheiden oft, ob eine Menge mehr Elemente enthält als eine andere, welche Menge nach „mehr“ aussieht oder die Mengen werden abgezählt. Problematisch dabei ist jedoch „um wie viel mehr“ bzw. um „wie viel größer“ die Menge ist, was Kinder oft nicht bestimmen können. Diese Varianten sind unzureichend, da das Verständnis der Eins-zu-Eins-Zuordnung noch nicht ausgebildet wurde.
Um dieses Verständnis zu fördern, sollten Übungen zum Anzahlvergleich durchgeführt werden. Dabei kann das Zählen zur Anzahlbestimmung genutzt werden, sofern Kinder den Eins-zu-Eins-Vergleich als logische Grundlage verstehen. Diese Vergleiche können und sollten im Alltag aufgegriffen werden, um das Verständnis zu fördern und zu vertiefen. Z.B. können die Anzahl der Stühle in der Klasse und die Anzahl der Kinder miteinander verglichen werden. Geeignete Impulse für die Kinder sind „Was ist mehr/weniger?“, „Woher hast du das gewusst?“ oder „Konntest du das feststellen, ohne zu zählen?“.
Bei den Vergleichen sollte der abzählbare Zahlenraum auch bewusst überschritten werden. Kinder, die den Eins-zu-Eins-Vergleich verstanden haben, können diesen auch in Zahlenräumen anwenden, ohne einzelne Elemente abzuzählen. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 22ff.)
Zu den grundlegenden Zahlbeziehungen zählt auch „um eins mehr“ bzw. „um eins weniger“. Dieser Vergleich kann sowohl kardinal mit Mengen als auch ordinal anhand der Zahlwortreihe – denn jede Zahl ist um eins mehr oder weniger als der Vor- bzw. Nachfolger in der Zahlwortreihe – erkundet und automatisiert werden. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 32) Dazu sind der Zahlenstrahl oder die Zahlenkette geeignete Anschauungsmittel, um Zahlen zu positionieren und in Beziehungen zu anderen Zahlen zu setzen.

 

Zahlen in ihrer Beziehung zu 5 und zu 10

Zahlen müssen in Beziehungen zu anderen Zahlen verstanden werden, um erfolgreich und sicher mit Zahlen umgehen zu können. Beziehungen von Zahlen zu 5 und zu 10 sind dabei wichtige „geistige Stützpunkte“ (Gaidoschik 2007, S. 40), um sich an diesen zu orientieren und weitere Verknüpfungen aufzubauen. Dabei werden Zahlen in Zusammenhang zur 5 bzw. zur 10 betrachtet: 4 ist einer weniger als 5, 9 ist 5 und 4, aber auch eins weniger als 10. Durch das Verständnis für diese Zahlbeziehungen können Kinder bereits Grundaufgaben lösen, ohne dabei zählend zu rechnen und bereitet den Aufbau flexibler Rechenstrategien vor. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 40f.)
Um das Verständnis der Zahlbeziehungen zu 5 und zu 10 zu fördern, bieten sich vor allem die eigenen Hände an, da diese eine Struktur mit jeweils 5 und zusammen 10 Fingern aufweisen. Wichtig dabei ist jedoch, dass nicht-zählende Fingerhandlungen angeregt werden, damit diese bei einem richtigen Umgang das Zahlverständnis fördern. Das Verständnis, dass sich an jeder Hand 5 Finger befinden muss geschaffen werden, ohne dass diese abgezählt werden. Zum Üben eignen sich Aufgaben bei denen Kinder die Zahlen bis 10 „aufeinmal“ mit ihrem Fingern zeigen. Dabei sollen vor allem Zahlen zur 5 (mit einer Hand) und 10 (mit beiden Händen) in Beziehung gesetzt werden. Z.B ist 6 eine Hand und ein Finger, also 5 und 1. Auf diesen Zusammenhang sollte die Aufmerksamkeit der Kinder aktiv gelenkt werden. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 44ff.)
Daneben bieten sich auch weitere didaktische Materialien an, die eine Fünfer- und Zehnerstruktur aufweisen, wie das Zehner- oder Zwanzigerfeld.

 

Teil-Ganzes-Zerlegung

„Das Teil-Ganzes-Verständnis beschreibt die Einsicht, dass eine (ganze) Menge in Teile zerlegt werden kann“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 57). Das Verständnis dieser Zerlegungen ermöglicht, „die Beziehung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen numerisch zu fassen“ (ebd., S. 57). Ein Verständnis für die Vielfalt von möglichen Zusammensetzungen einer Zahl und deren Zusammenhänge und Beziehungen ist für ein erweitertes Zahlverständnis grundlegend.
Beispielsweise kann die Zahl 6 in 5 und 1 zerlegt werden (Ausnutzung der Struktur der 5), aber es gibt auch weitere Zerlegungen dieser Zahl, wie 3 und 3 oder 4 und 2. Um ein Teile-Ganzes-Verständnis zu entwickeln, sind die Erkenntnisse der Beziehungen eines Zahlentrippels wie 6 – 5 – 1 (1+5= 6, 5+1= 6, 6-5= 1, 6-1= 5) von Bedeutung. Anhand dieses Trippels können mehrere Beziehungen entdeckt werden, welche auch von Kindern eigenständig kommuniziert werden sollten.
Um Einsichten in dieses Verständnis zu fördern, eignen sich u.a. Materialien wie Wendeplättchen, mit denen verschiedene Teilmengen einer Gesamtmenge mit unterschiedlichen Farben markiert werden können. Durch geschicktes Verändern der Teilmengen können auch operative Veränderungen in den Blick genommen werden. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 85)

 

Literatur:

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Marcus (2012): Fördern im Mathematikunterricht. Heft 4. Frankfurt am Main: Grundschulverband.

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen – Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.