Ablösung vom zählenden Rechnen

Ablösung vom zählenden Rechnen

Allgemeines zum zählenden Rechnen

Kinder mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen sind oftmals zählende Rechner und Rechnerinnen. Sie bearbeiten Rechenaufgaben mithilfe von Abzählstrategien und nutzen keine alternativen Strategien. Dass das zählende Rechnen als Strategie seine Grenzen hat, um Aufgaben zu lösen, zeigt sich schnell z.B. in höheren Zahlenräumen. Der hohe Aufwand, der mit dem Merken von Zwischenschritten oder Weiterzählen um bestimmte Zahlen verbunden ist, die Fehleranfälligkeit und das Zählen ohne Ausnutzung mathematischer Strukturen verhindern oft die Ausbildung eines mathematischen Verständnisses und einer tragfähigen Operationsvorstellung.

Die Ablösung vom zählenden Rechnen ist ein entscheidender Schritt dafür, dass Kinder erfolgreich Mathematik lernen können. Mit einem Verbot des Zählens oder des Nutzens der Finger, die viele Kinder zur Unterstützung beim zählenden Rechnen einsetzen, ist die Ablösung vom zählenden Rechnen noch nicht geschafft. Stattdessen muss der Prozess gezielt gefördert werden, wozu Zeit und Aufmerksamkeit notwendig sind. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2014, S. 6)

 

Strategien von zählenden Rechnerinnen und Rechnern

Kinder, die zählend rechnen, zeigen verschiedene Strategien, mit denen sie zu Lösungen kommen. Zum einen gibt es Kinder, die „alleszählen“, um zu einem Ergebnis zu kommen. Bei 4 + 5 beispielsweise zählen diese Kinder zunächst bis 4, anschließend bis 5 und zuletzt zählen sie beide Mengen aus (von 1 bis 9). Unterstützt wird diese Strategie oft mit den Fingern und ist besonders dann anspruchsvoll, wenn der zweite Summand besonders groß ist.

Zum anderen gibt es Kinder, die vom ersten Summanden aus weiterzählen, und dafür nicht zunächst bis 4 zählen müssen, sondern von 4 genau 5 Zahlen weiterzählen, um das Ergebnis 9 zu erhalten. Auch hier kommt es zu Schwierigkeiten, wenn der zweite Summand so groß ist, dass er nicht sicher abgezählt wird. Häufig tritt bei dieser Strategie der Pluseins/Minuseins-Fehler auf. Hierbei wird eine Zahl zu viel bzw. zu wenig abgezählt, weil nicht klar ist ob mit dem Weiterzählen um 5 bereits das Ergebnis erreicht ist, oder die nachfolgende Zahl das Ergebnis darstellt.

Kinder, die vom größeren Summanden aus weiterzählen nutzen dieselbe Vorgehensweise. Allerdings zählen sie - unter Ausnutzung des Kommutativgesetzes der Addition - vom größeren Summanden aus. Dadurch müssen sie weniger Zahlen abzählen. Eine weitere Strategie ist das Abzählen in größeren Schritten als Einer-Schritten.

Bei den verschiedenen Vorgehensweisen ist erkennbar, dass es eine Entwicklung innerhalb des zählenden Rechnens geben kann, die durchaus dazu führen kann, dass sich vom zählenden Rechnen gelöst wird. Oder andersherum: Kinder können diese Rechenstrategien durchlaufen ohne verfestigt zählend zu rechnen. Deshalb ist es wichtig, dass im Verlauf des ersten Schuljahrs die zählenden Strategien durch Rechenstrategien ersetzt werden, damit sich das zählende Rechnen nicht verfestigt. (vgl. ebd., S. 46f.)

 

Ablösung vom zählenden Rechnen

Für die Ablösung von Strategien des zählenden Rechnens sind vor allem Vorstellungen und Einsichten von und zu Zahlen und Operationen notwendig. Die Vorstellungen über Zahlen müssen nicht nur tragfähig und vielfältig – also kardinal (eine Zahl als Menge) und ordinal (eine Zahl als feste Position in einer Reihenfolge) – sondern auch mit Relationen von Zahlen zueinander entwickelt werden. Dazu sind vor allem die Teile-Ganzes-Beziehungen von Zahlen und ihren Zerlegungen bedeutsam. So fehlt Kindern mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen oft das Verständnis dafür, dass eine Zahl sich aus anderen Zahlen zusammensetzt. Z.B. kann 7 als Zusammensetzung von 2 und 5 gedeutet werden (vgl. Abb. 1). Dazu ergänzend ist für die Vorstellung über Zahlen die Zählkompetenz von Bedeutung. Nur Kinder, die sicher und flexibel zählen, kommen über das einschrittige Abzählen bis zum Ergebnis hinaus. Sich vom zählenden Rechnen durch sicheres Zählen zu lösen klingt zunächst widersprüchlich. Jedoch werden durch das Zählen Zahlbeziehungen und die Struktur des Zahlsystems erst deutlich, die für nichtzählendes Rechnen genutzt werden. (vgl. ebd., S. 51f.)

 


Abb. 1: Schülerdokument zur Zerlegung der 7 in 2 und 5.

 

 

Vorstellungen über Operationen

Um sich vom zählenden Rechnen zu lösen, sind Vorstellungen zu den Operationen zentral. Während Kinder mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen mit der Addition oft ein weiter bzw. rauf-zählen und mit der Subtraktion ein rückwärts- bzw. runter-zählen verbinden, sind vielfältige und tragfähige Operationsvorstellungen zentral dafür, dass Aufgaben sicher gelöst werden und nicht zählend. Durch die Handlung mit Material zu Rechenaufgaben, das Nachdenken darüber und schließlich mentales Handeln mit Material, werden Operationsvorstellungen aufgebaut. (vgl. ebd., S. 53)

Da Handlungen an Material zunächst das zählende Rechnen unterstützen können, müssen solche Handlungen selbst zum Zweck werden. Das heißt eine Handlung, z.B. mit Fingern ist dann für Mathematiklernen hilfreich, wenn es darum geht zu verstehen was die Rechenaufgabe bedeutet. Als Strategie um alle Aufgaben zu lösen eignet sich die Handlung dagegen nicht. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 77)

Linktipp: Aufbau von Operationsvorstellungen

 

Rechnen mit Zahlbeziehungen

Um Aufgaben nicht zählend zu lösen, können Zahlbeziehungen ausgenutzt werden, z.B. indem schwierige Aufgaben von leichten abgeleitet werden. Mit herausfordernden Aufgaben, die ein Erkennen und Nutzen von Zahl- und Operationsbeziehungen vorbereiten, und Einsichten in Teile-Ganzes-Beziehungen, können Kinder ein Verständnis für alternative Strategien entwickeln, wie sie Aufgaben lösen können ohne zählend zu rechnen. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2014, S. 53f.)

 

Anregungen für den Unterricht und die Förderung

Für den Unterricht bzw. eine Förderung zur Ablösung vom zählenden Rechnen ist es wichtig den Kindern die Notwendigkeit des geschickten Rechnens zu vermitteln und die Freude am geschickten Rechnen zu fördern. Da das Nachdenken über Zahlen und Entwickeln alternativer Strategien mit Aufwand, Stress und Muße verbunden ist, muss Kindern deutlich werden, warum die vertraute, zählende Strategie nicht auf Dauer von Vorteil ist. Hierbei kann mit deutlicher Wertschätzung von geschickten Lösungswegen und der Thematisierung von Fehlern deutlich werden, warum alternative Strategien notwendig sind. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 122)

 

Literatur:

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Markus/ Moser Opitz, Elisabeth/ Wittich, Claudia (2014): Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. 2. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen - Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

 

Weiterführende Literatur und Linktipps:

Die Ablösung vom flexiblen Rechnen kann durch den Aufbau flexibler Rechenstrategien bewerkstelligt werden.

Linktipp: Aufbau flexibler Rechenstrategien

 

Teile-Ganzes-Verständnis

Für die Ablösung vom zählenden Rechnen sind alternative Strategien notwendig, um Aufgaben zu lösen, ohne weiter oder zurück zu zählen. Es können z.B. einfache Aufgaben genutzt werden, um schwierige Aufgaben zu lösen, indem die Beziehungen der Zahlen untereinander ausgenutzt werden. Wenn ein Kind 4 + 5 rechnen kann, ist 14 + 5 unter Ausnutzung der Beziehung zwischen 4 und 14 ebenfalls leicht zu lösen (vgl. Abb. 2). Auch über Verdopplungsaufgaben, die oft sicher beherrscht werden, kann durch operative Veränderung leicht 6 + 7 als eins mehr als 6 + 6 oder eins weniger als 7 +7 verstanden werden. Damit diese Beziehungen genutzt werden können, ist eine Einsicht in die Zusammensetzung und Zerlegungen von Zahlen notwendig, die auch als Teile-Ganzes-Konzept bezeichnet werden.

 


Abb. 2: Schülerdokument zur Ausnutzung von Zahlbeziehungen.

 

Das Teile-Ganzes-Verständnis bezeichnet allgemein die „Einsicht, dass eine (ganze) Menge in Teile zerlegt werden kann.“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2014, S. 57) Dafür ist zunächst das Verständnis dafür, dass z.B. die Menge 7 auf verschiedene Weisen in 1 und 6 zerlegt werden kann (vgl. Abb. 3) und dass 7 in verschiedene Mengen zerlegt werden kann, zentral. Kinder lernen zunächst, dass eine Zahl (die erst mit Material als Menge dargestellt wird) aus Zahlen zusammengesetzt bzw. andersherum in Zahlen zerlegt werden kann. Mit dieser Einsicht werden spätere Fehler wie 2 – 5 = 3 vermieden.
Nicht nur in zwei, sondern auch in drei oder mehr Summanden kann eine Zahl zerlegt werden. Das ist auch mit Blick auf die Multiplikation und Division von besonderer Bedeutung, da hier meistens mehr als zwei Teilmengen betrachtet werden (z.B. bei 3 · 4 als dreimal die Teilmenge 4). (vgl. ebd., S. 57ff.)

 


Abb. 3: Schülerdokument zur Zerlegung der 7 in 1 und 6.

 

Durch die Kenntnis über Zerlegungen z.B. zur 6, kann die Aufgabe 2 + 4 auch nicht-zählend gelöst werden, sondern durch Abrufen der bekannten Zerlegung (2 + 4 = 6). Um dahingehend zu üben, eignet sich auch die Blitzrechenkartei. Hierbei werden bewusst Aufgaben verschiedenen Strategien zugeordnet, die zur Lösung genutzt werden können, u.a. +10, bis 10 etc. (vgl. ebd., S. 69)

 

Teile-Ganzes-Beziehungen im Unterricht und in der Förderung


Abb. 4: Schülerdokument zum Zahlenhaus 6.

Für Einsichten in das Teile-Ganzes-Konzept sind vor allem Aufgaben bei denen Kinder Mengen zerlegen müssen und sich anschließend über günstige Deutungen der Zerlegungen austauschen zentral. Dass ein Ganzes aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt sein kann und konstant ist, solange keine Operation daran durchgeführt wird, muss verstanden werden. (vgl. ebd., S. 52)
Ein erster Schritt sollte im freien Experimentieren zu Zerlegungen bestehen. Dazu kann zunächst mit Material gearbeitet werden, von dem sich im späteren Unterricht bzw. der Förderung gelöst werden sollte, indem erst verdeckt und schlussendlich mental gehandelt wird. Als Material eignen sich zu Beginn auch die Finger, an denen Kinder sehen können, dass 10 Finger in 5 und 5 Finger oder in 3 und 7 Finger zerlegt werden können. Im Anschluss an Handlungen sind immer der Austausch, Vergleich und die Verständigung über die geschickteste bzw. konventionelle Lösung wichtig. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 84f.)

Für die Thematisierung der Zerlegungen eignen sich als Materialien im Unterricht z.B. die „Zahlenhäuser“ (vgl. Abb. 4). In die Häuser werden die Zerlegungen zu einer Zahl, meist zunächst als Zerlegung mit zwei Summanden, eingetragen. Solange die Zerlegungen ohne Ergebnis notiert werden (5 + 0), steht ein statisches Verständnis hierbei im Vordergrund. Mit der Verknüpfung der Zerlegung als Additionsaufgabe (5 + 0 = 5) wird dagegen auch eine dynamische Vorstellung unterstützt. Besonders von Vorteil ist das Zahlenhaus, da es ein Ordnungskriterium verwendet (die Summanden werden in auf bzw. absteigender Reihenfolge sortiert), das Kindern mit Schwierigkeiten im Mathematikunterricht dabei unterstützt alle Zerlegungen einer Zahl zu finden. Gleichzeitig sind die Zerlegungen so sortiert, dass operative Veränderungen entdeckt werden können.
Ähnliche Möglichkeiten bieten sogenannte „Schüttelboxen“, in denen eine Menge immer wieder neu in zwei Teilmengen „geschüttelt“ wird. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2014, S. 58f.)

 

Literatur:

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Markus/ Moser Opitz, Elisabeth/ Wittich, Claudia (2014): Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. 2. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen - Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

 

Erweiterung von Zählkompetenzen

Um sich vom zählenden Rechnen zu lösen, sind Zählkompetenzen ein wichtiger Bestandteil. Was zunächst widersprüchlich klingt, ist für das mathematische Verständnis zentral. Entscheidend ist der Unterschied zwischen sicherem Zählen als Fertigkeit und andererseits Zählen als Rechenstrategie. Viele Kinder mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen zählen fehlerhaft und beherrschen die Zahlwortreihe noch nicht korrekt. Um flexibel rechnen zu können, ist es vor allem wichtig sicher in Einerschritten, aber auch in Zweier-, Fünfer- und Zehnerschritten zählen zu können. Diese Kompetenzen sind eine Grundlage für nichtzählendes Rechnen. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2014, S. 52)

Während bei den Teile-Ganzes-Beziehungen der Fokus auf dem kardinalen Zahlaspekt liegt, liegt bei Zählkompetenzen die ordinale Vorstellung im Fokus. Beide Vorstellungen zusammen bilden einen vielfältigen Zahlbegriff aus. Neben der ordinalen Vorstellung und dem flexiblen Zählen in Schritten ist für die Ablösung vom zählenden Rechnen auch das Verständnis für die Zahlbeziehungen wichtig. Durch das Zählen in Schritten und das Ordnen von Folgen sollen Kinder ein Verständnis für die Zusammenhänge von Zahlen und Zahlenfolgen gewinnen. (vgl. ebd., S. 92f.)

 

Zählkompetenz im Unterricht und in der Förderung

Das Zählen beherrschen Kinder oft bereits vor der Schule und müssen ihre Vorkenntnisse dann in der Schule erweitern. Die Zahlwortreihe kann spielerisch (z.B. mit Würfelspielen zum Zählen bspw. „Räuber und Goldschatz“) geübt werden oder mit lautem bzw. rhythmischen Zählen speziell für Kinder mit Schwierigkeiten beim Mathematiklernen vertieft werden. (vgl. Padberg 2009, S. 31ff.)
Zentral für den Anfangsunterricht ist das sichere Zählen zu Bestimmung einer Anzahl. Nur wenn jedes Element der Menge genau einmal mit dem folgenden Zahlwort gezählt wird, kann die Anzahl mit dem zuletzt genannten Zahlwort korrekt bestimmt werden (sog. Eins-zu-Eins-Zuordnung). (vgl. Gaidoschik 2007, S. 5)

Eine erweiterte Zählkompetenz kann z.B. beim Zählen in Schritten an konkreten Zählaktivitäten geübt werden. Auch Zahlfolgen sind sowohl vorwärts, als auch rückwärts sowie sowohl mit konstanten (1,3,5,7), als auch mit steigendem Abstand (1, 2, 4, 7, 11) für einen flexiblen Umgang mit der Zahlwortreihe sinnvoll. Das Zählen in Schritten lässt konstante Zahlenfolgen entstehen, legt jedoch den Fokus auf die Zählaktivität und geschieht meinst mündlich. Zahlenfolgen, z.B. in Form von Zahlenfolgestreifen, werden dagegen schriftlich festgehalten, sodass eine Weiterarbeit mit ihnen möglich ist.

 


Abb. 5: Leerer Zahlenstrahl.

 

Für die Einsicht in Zusammenhänge von Zahlen und Zahlenfolgen ist z.B. der leere Zahlenstrahl ein geeignetes Material (vgl. Abb. 5). Hierbei sind keine Markierungen für Zahlen vorgegeben, sodass eine Zählhilfe für zählende Rechner und Rechnerinnen vermieden wird. Gleichzeitig wird die Vorstellung von und die Relationen zwischen Zahlen in den Fokus gerückt, die korrekt und dem Abstand entsprechend eingezeichnet werden müssen. Wird der leere Zahlenstrahl zu Unterstützung einer Rechnung genutzt, handelt es sich dabei um einen Rechenstrich. (vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2014, S. 92ff.)

 

Literatur:

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Markus/ Moser Opitz, Elisabeth/ Wittich, Claudia (2014): Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. 2. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen - Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

Padberg, Friedhelm (2009). Didaktik der Arithmetik. Für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung (3. erweiterte, völlig überarbeitete Auflage). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

 

Aufbau flexibler Rechenstrategien

„Das Rechnen mit Zahlbeziehungen […] [beinhaltet] die Einsicht in Rechenprozesse unter Ausnutzung von (dekadischen) Zahlbeziehungen, Zerlegungsstrategien und Rechengesetzten“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 137). Um sich vom zählenden Rechnen zu lösen, ist es wichtig, dass Kinder Beziehungen zwischen Zahlen und Aufgaben beim Rechnen nutzen und flexibel damit umgehen. Es soll gelernt werden, dass schwierige Aufgaben von einfachen abgeleitet werden können und dadurch ein erneutes Rechnen und vor allem ein umfangreiches und fehleranfälliges Abzählen verhindert wird. Das kann gelingen, wenn herausfordernde Aufgaben angeboten werden, die das Erkennen und Nutzen von Zahl- und Operationsbeziehungen möglich und notwendig machen. Zentral für die Erkenntnisse grundlegender Beziehungen sind beispielsweise:

  • Tauschaufgaben
    Beispiel: 1+5 = 6, 5+1 = 6
     
  • Umkehraufgaben
    Beispiel: 3+4= 7, 7-4= 3
     
  • Verdoppeln/Halbieren,
    Beispiel: 6+6=12 / 12-6=6
     
  • Fast-Verdoppeln/ Fast-Halbieren (Verdoppeln/Halbieren +/- 1)
    Beispiel: 7+6 = 13 (6+6= 12) / 13-6= 7 (12-6= 6)
     
  • die Kraft der 5 (Aufgaben mit 5)
    Beispiel: 5 + 3, 2 + 5
     
  • die Kraft der 10 (Aufgaben mit 10)
    Beispiel: 10 + 4, 8 + 10

(vgl. Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 54; Benz/ Padberg 2011, S. 98ff.).

Dabei sollen, sobald geschickte Strategien von den Kindern gefunden, erkannt und genutzt werden, diese auch deutlich als einfache Strategien bewusst gemacht werden. Um die Kommunikationsfähigkeit der Kinder und ihren verbalen Austausch untereinander zu fördern, ist es sinnvoll, gefundene Strategien benennen und beleuchten zu lassen. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 123f.) Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Lehrkraft Freude am geschickten Rechnen vermittelt und geschickte und flexible Lösungswege wertgeschätzt werden. (vgl. ebd., S. 122)

 

Einfache Additions- und Subtraktionsaufgaben erkennen

Aufgaben, bei denen „das Ergebnis anhand der Zahleigenschaften der Summanden oder der Zahlbeziehung zwischen den Summanden ohne weitere Umrechnungen schnell erfasst werden [können]“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 138), zählen zu den einfachen Aufgaben. Darunter fallen beispielsweise Verdopplungs- und Halbierungsaufgaben oder Aufgaben, bei denen die Teil-Ganzes-Beziehung zu den Zehnern aufgegriffen wird (z.B. 6 + 4, 7 + 3 (sog. „verliebte Zahlen“) oder 36 - 6). Zählend rechnenden Kindern fällt es oft schwer, diese Aufgaben als einfach zu erkennen, somit sollte der Fokus einer Förderung auf diesen Lernprozess gelegt werden. Wichtig für „die Entwicklung dieser Struktur-fokussierenden Perspektive auf die grundlegenden operativen Beziehungen ist, dass die Kinder die Objekte und Operationen in ihrer Relation zueinander mit Material oder bildlich darstellen und beschreiben“ (ebd., S. 138), z.B. durch ein Punktefeld.
Nachdem unter Zuhilfenahme von Veranschaulichungen ein Verständnis für Operationen, Zahl- und Operationsbeziehungen ausgebildet und produktiv geübt wurde, sollte schrittweise eine Automatisierung der Kernaufgaben, u.a. der „verliebten Zahlen“, Zerlegungen der Zahlen bis 10 sowie Verdopplungs- bzw. Halbierungsaufgaben (vorerst im kleinen Zahlenraum), erfolgen. So können diese als Stützpunktaufgaben genutzt werden und helfen, sich bei verwandten Aufgaben an diesen zu orientieren. (vgl. Moser Opitz/ Scherer 2010, S. 73f.)

Linktipp: Vorstellungen zur Addition und Subtraktion

 

Verwandte Aufgaben erkennen und nutzen

Damit das Ergebnis einer verwandten Aufgabe nicht neu berechnet oder sogar abgezählt wird, muss eine relationale Verbindung zu der Ursprungsaufgabe hergestellt und Zusammenhänge erkannt werden. Dies kann gelingen, indem grundlegende Additions- und Subtraktionsaufgaben verändert und in Beziehung zueinander gesetzt und betrachtet werden.
Die Nachbaraufgabe ist eine der zentralen Aufgabenbeziehungen in der Schuleingangsphase, da in vielen Fällen durch das Nutzen dieser Aufgaben eine schwierige Aufgabe auf eine einfache zurückgeführt werden kann. Damit Nachbaraufgaben verstanden und genutzt werden können, sollten sie vorerst als operative Veränderung zu einer Menge beschrieben werden. Durch Impulse wie „Was passiert bei der Addition, wenn einer der Summanden verändert wird?“ oder „Wie verändert sich die Subtraktionsaufgabe, wenn 1 Punkt weniger abgedeckt wird?“ (Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 139f.) kann ein Verständnis der operativen Veränderung aufgebaut und Beziehungen sichtbar gemacht werden.

 

zaehlenden-rechnen_flexible-rechenstrategien_abb01.jpg
Abb. 6: Ausgangsaufgabe (6 + 6 als einfache Aufgabe) und 3 veränderte Additionsaufgaben.
(In Anlehnung an: Häsel-Weide/ Nührenbörger/ Moser Opitz/ Wittich 2015, S. 143)

 

Zu den beziehungsreichen Aufgaben zählen auch Analogieaufgaben. Auch hier kann mit Material (z.B. am Zwanzigerfeld) verdeutlicht werden, dass keine neue Rechnung nötig ist und das Ergebnis der einfachen Aufgabe genutzt werden kann, wenn die Zusammenhänge zwischen den Aufgaben herausgestellt wurden.

 

zaehlenden-rechnen_flexible-rechenstrategien_abb02.jpg
Abb. 7: Analogieaufgaben: Beziehung zwischen den Zahlen 6 und 16 bzw. 7 und 17 für das Ergebnis nutzen

 

 

Sortiertafel

Ein geeignetes didaktisches Material zum Aufbau flexibler Rechenstrategien ist die Sortiertafel. Ziel dieser Tafel ist es, Aufgabenmerkmale zu erkennen und anschließend Aufgaben unter Beachtung der Beziehungen und Strategien zum geschickten Rechnen zu nutzen.
Die Tafel ist in verschiedenfarbige Felder eingeteilt (vgl. Abb. 8), die jeweils einem Merkmal bzw. einer Strategie „mit 5“ (gelb), „mit 10“ (grün), „=10“ (blau) und „verdoppeln“ (rot) zugeordnet sind. Unter dem Schwerpunkt „Aufgabenmerkmale erkennen“, sollen Aufgaben diesen Merkmalen zugeordnet werden. Ebenfalls gibt es ein Feld für Aufgaben, die keiner dieser Strategien zugeordnet werden können (grau).

 

zaehlenden-rechnen_flexible-rechenstrategien_abb03.jpg
Abb. 8: Sortiertfafel

 

Wichtig dabei ist es, das selbstständige Verbalisieren zu fördern. Dazu sind Impulse wie „Warum hast du diese Aufgabe in dieses Feld sortiert?“ oder „Wo siehst du hier die 5?“ geeignet. Wenn die Aufgaben sortiert wurden, soll ein Merkmal genauer betrachtet werden. Die Aufgaben werden am Zwanzigerfeld dargestellt, damit die Merkmale für die Kinder sichtbar gemacht und Beziehungen zwischen den Aufgaben hergestellt werden können. Nach dem Berechnen schließen sich Eigenproduktionen und merkmalbezogenes Automatisieren an.
Wenn die einfachen Aufgaben erkannt und automatisiert wurden, können unter dem Schwerpunkt, „Aufgabenbeziehungen zum Rechnen nutzen“, schwierige Aufgaben nach Strategien geordnet werden. Auch hier sind Darstellungen der Aufgaben und Eigenproduktionen sowie das Reflektieren darüber wichtig.
Durch ausgewählte Aufgaben können gezielt die einzelnen Strategien in den Fokus gerückt und strategiebezogen geübt werden. Weiterführende Impulse wie z.B. „Wie hast du gerechnet?“ oder „Kannst du die Aufgabe noch anders rechnen?“ sind geeignet, um Kinder dazu anzuregen, ihre eigenen Vorgehens- und Denkweisen zu verbalisieren und zu reflektieren.

 

zaehlenden-rechnen_flexible-rechenstrategien_abb04.jpg
Abb. 9: Eine Aufgabe kann mit verschiedenen Strategien (unter Ausnutzung von einfachen Aufgaben) gelöst werden

 

Einfache Multiplikations- und Divisionsaufgaben

Auch bei der Multiplikation und Division gibt es Kernaufgaben, die hilfreich sind, um schwierige Aufgaben von einfachen abzuleiten. Kinder sollten sich an diesen Aufgaben orientieren, um sich von zählenden Rechenstrategien zu lösen. Um schwierige Aufgaben mithilfe der Kernaufgaben zu lösen, sollten diese automatisiert werden. Allerdings sollte die Automatisierung nicht ohne grundlegendes Verständnis der Operationsvorstellungen erfolgen.

Bei der Multiplikation zählen zu den einfachen Aufgaben beispielsweise

  • Tauschaufgaben
  • Verdoppelungsaufgaben (Aufgaben mit dem Faktor 2, z.B. 2 · 8, 4 · 2),
  • Aufgaben „mit 5“ (z.B. 5 · 6, 5 · 9),
  • Aufgaben „mit 10“ (z.B. 3 · 10, 7 · 10) oder
  • Quadrataufgaben (z.B. 7 · 7, 4 · 4).

Über Nachbaraufgaben können schwierige Aufgaben gelöst werden, indem diese mit einfachen Aufgaben verknüpft werden, z.B.:

 

zaehlenden-rechnen_flexible-rechenstrategien_abb05.jpg
Abb. 10: Um die Ausgangsaufgabe 6 · 7 zu lösen, wird auf die einfache Nachbaraufgabe 5 · 7 zurückgegriffen und additiv mit 1 · 7 verknüpft

(vgl. Benz/Padberg 2011, S.140ff.)

 

Bei der Division kann u.a. auf folgende einfache Aufgaben zurückgegriffen werden:

  • Umkehraufgaben (in Umkehrung zu der entsprechenden Multiplikationsaufgabe)
  • Verdoppeln/ Halbieren (des Dividenden oder Divisors, z.B. 24 : 8 = 3 → 48 ist das Doppelte von 24, daher 48 : 8 = 6 und 6 ist das Doppelte von 3)
  • schrittweises Rechnen (additive oder subtraktive Zerlegung des Dividenden in Vielfache des Divisors, z.B. 48 = 40+8 → 40 : 8 = 5 und 8:8=1, also 48 : 8 = 6 ; Hintergrund ist das Distributivgesetz)

(vgl. Benz/Padberg 2011, S.159ff.)

Bei der Division muss des Weiteren darauf geachtet werden, dass nicht jede Zahl ohne Rest geteilt werden kann, wodurch eine differenzierte Thematisierung sinnvoll und nötig wird.

 

Aufgabenkarten zum Üben in der Schule und Zuhause

Zum Üben des 1+1, 1-1 und des 1x1 Zuhause empfiehlt sich das Lernen mit einer Übungskartei. Dabei werden zunächst die einfachen Aufgaben geübt. Erst „mit 5“, dann „mit 10“, dann „gleich 10“ usw. dann alle einfachen Aufgaben zusammen. Anschließend geht es darum, in den schwierigen Aufgaben, die einfachen Aufgaben zu sehen und diese zur Lösung zu nutzen. Es sollte jeden Tag etwa 5 Minuten geübt werden.

Linktipp: PIKAS: „Das kleine 1 + 1 richtig üben“ (PDF)

 

Literatur:

Benz, Christiane/ Padberg, Friedhelm (2011): Didaktik der Arithmetik. Für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung. 4. Auflage, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen – Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

Häsel-Weide, Uta/ Nührenbörger, Markus/ Moser Opitz, Elisabeth/ Wittich, Claudia (2015): Ablösung vom zählenden Rechnen. Fördereinheiten für heterogene Lerngruppen. 3. Auflage. Seelze: Klett Kallmeyer.

Moser Opitz, Elisabeth/ Scherer, Petra (2010): Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.