Entwicklung eines Stellenwertverständnisses

Entwicklung eines Stellenwertverständnisses

Allgemeines zum Stellenwertverständnis

Im arithmetischen Lernprozess spielt die Entwicklung des Verständnisses für das dekadische Stellenwert- bzw. Dezimalsystem, nach dem die uns bekannten Zahlen aufgebaut sind, eine entscheidende Rolle. Verständnis kann in einem Prozess aufgebaut werden, in dem Kinder die konventionelle Notation und das dahinterstehende System kennenlernen und mit Teile-Ganzes-Beziehungen verknüpfen. (vgl. Moser Opitz 2007, S. 89)

Ein tragfähiges Stellenwertverständnis muss von allen Kindern entwickelt werden. Ohne die Einsicht in den Aufbau der Ziffern-Zahlen sind sowohl Zahlvorstellungen, als auch Operationsvorstellungen nicht tragfähig ausbildbar. Studien ergeben, dass Kinder mit tragfähigem Stellenwertverständnis bei der Addition und Subtraktion vielfältigere Strategien nutzen und weniger Fehler machen, als Kinder mit weniger guten Kenntnissen zum Dezimalsystem (vgl. ebd., S. 92f.). In engem Zusammenhang stehen vor allem die Teile-Ganzes-Beziehungen mit der Zusammensetzung von Zehnern und Einern. Das Teil-Ganzes-Konzept bildet darüber hinaus auch die Grundlage für flexible Rechenstrategien, die ebenfalls auf ein grundlegendes Stellenwertverständnis aufbauen. Zuletzt ist auch die Erweiterung des Zahlenraums zu Dezimalzahlen maßgeblich von Stellenwerten abhängig.

 

Das dezimale Stellenwertsystem basiert auf der indischen Mathematik, die sich etwa Mitte des ersten Jahrtausends etablierte. Das Rechnen bis zur zehn erfordert von Kindern zunächst nur die Anwendung der Zahlbeziehungen, die bis zehn gelten. Werden Rechenaufgaben mit Stellenwertüberschreitungen gelöst, ist dagegen die Zerlegung in Teilrechnungen notwendig und somit müssen alle Zusammensetzung der Zahlen bis neun beherrscht werden. Zu diesem Zweck müssen die Zahlbeziehungen der Zahlen bis zehn automatisiert werden. Rechenaufgaben die über den Zehner hinaus gehen, können nur sicher berechnet werden, wenn das Stellenwertsystem durchdrungen und verstanden wurde. Um Sicherheit im Umgang mit dem Stellenwertsystem zu erlangen, sind der sichere Umgang mit Zahlen bis einschließlich zehn und das Verständnis für die Funktionsweise des Stellenwertsystems wichtig. Kinder beherrschen diese Kompetenzen z.T. sehr unterschiedlich: Während einige beim Eintritt in die Schule schon im Zahlenraum bis zwanzig sicher agieren, ist die Überschreitung des Zehners für andere Kinder eine neue Herausforderung, die im ersten Grundschuljahr gemeistert werden muss. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 162f.)

 

Eigenschaften des Stellenwertsystems

Für das Verständnis des Stellenwertsystems müssen seine Eigenschaften verstanden und miteinander verknüpft werden. Die Ziffern einer Zahl stellen an einer festen Position die Anzahl der jeweiligen Einheit dar. Die letzte Ziffer ist der Einer. So bedeutet die Ziffer 3 an dieser Stelle 3 Einer. Davor steht der Zehner – eine 3 an dieser Stelle steht für 3 Zehner. Dies wird unter dem Prinzip des Zahlenwerts zusammengefasst.
Unter dem Prinzip des Stellenwerts versteht man, dass jede Position eine feste Bündelungseinheit darstellt. Alle Stellenwerte sind Potenzen der 10 bzw. der Exponent steigt von rechts nach links jeweils um 1: Einer → 100, Zehner → 101, Hunderter → 102 usw. (vgl. Abb. 1). Aus diesem Grund wird auch vom Dezimalsystem gesprochen (nach dem lateinischen Wort „decem“ für „zehn“). Ist die Anzahl der Zehner 0 und sind größere Stellenwerte, z.B. Hunderter vorhanden, so muss an der entsprechenden Stelle eine 0 notiert werden, damit die Reihenfolge der Stellenwerte eingehalten wird.

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Abb. 1: Stellenwerte

Als multiplikative Eigenschaft des Stellenwertsystems kann jede Ziffer einer Zahl mit den Zehnerpotenzen multipliziert werden, um auf den Wert der Zahl zu kommen. 
Bei der Zahl 284 kommt man so auf 2 • 100, 8 • 10 und 4 • 1.
Darüber hinaus ist für das dekadische System das fortgesetzte Bündelungsprinzip wichtig: Es werden jeweils zehn Einheiten zu einer neuen, der nächst größeren Einheit zusammengefasst. Aus zehn Einern wird ein Zehner, aus zehn Zehnern wird ein Hunderter usw. (vgl. Moser Opitz 2007, S. 89f.)

Linktipp: Bündelungs- & Entbündelungsprozesse

 

Schwierigkeiten beim Stellenwertverständnis

Dass viele Kinder auch nach der Grundschulzeit noch Schwierigkeiten haben das Stellenwertsystem zu verstehen und ein geeignetes Stellenwertverständnis aufzubauen macht die thematische Komplexität deutlich. Kinder, die Zahlen notieren und mit Anschauungsmaterial umgehen können und sich in einem bis dahin erarbeiteten Zahlenraum sicher bewegen, können dennoch im weiteren Lernprozess Schwierigkeiten entwickeln. So kann es bei der Zahlenraumerweiterung auf Dezimal- und Bruchzahlen bspw. zu Problemen kommen, die auf ein nicht hinreichend entwickeltes Stellenwertverständnis hindeuten. (vgl. Hußmann/ Nührenbörger/ Prediger/ Selter 2014, S. 21)
Ein Kind, dass Zahlen nur als Position auf einer Zahlenreihe interpretiert und diese nicht als Menge erfasst, weist folgende Fehlvorstellungen auf: Die Zahlen 9 und 10 bspw. unterscheiden sich nicht voneinander, 10 ist einfach die nächste Zahl, die nach der 9 folgt.  
Der Grundgedanke unseres Zahlsystems ist es jedoch, dass wir im Sinne des Stellenwertsystems an jeder Stelle (Einer, Zehner, Hunderter, ...) stets nur eine Anzahl von 9 festhalten können (alle Ziffern von 0 bis 9). Bei der Zahl 10 kommt es zur Bündelung in die nächst höhere Stelle und dieser Prozess kann Kindern große Schwierigkeiten bereiten.
Folgende Auffälligkeiten weisen auf Schwierigkeiten bzw. auf ein nicht vorhandenes Stellenwertverständnis hin:

  • Zahlendreher beim Lesen, Schreiben und Rechnen (z.B. 34+7=50, da 43+7 gerechnet wird)
  • Probleme beim Zählen. Vor allem rückwärts, insbesondere beim Übergang von einer Stelle zur nächsten: Typische Fehler sind bspw. 800, 900, 1000, 2000, 3000 oder 63,62,61,50,59,58
  • Nichterkennen von Analogien: Obwohl 3 + 3 auswendig beherrscht wird, kann bei 23 + 3 auf dieses Wissen nicht zurückgegriffen werden und es wird hochgezählt
  • Wahlloses Verknüpfen der Zehner und Einer: Beispielsweise bei der Addition werden wahllos die Ziffern verrechnet (23 + 1 = 33)
  • Schwierigkeiten mit „Nachbar-Aufgaben“ wenn 30 – 1 als 39 berechnet wird, durch die fehlerhafte Entbündelung
  • Zehnerüber- und Zehnerunterschreitungen gelingen nicht oder nur zählend
  • Fehlerhafte Größenvergleiche aufgrund der Ziffern, nicht aber der Stellenwerte, z.B. 19 größer als 33, wegen der vorkommenden 9
  • Keine Orientierung im Zahlenraum, wenn z.B. die 36 bei 60 am Zahlenstrahl gesucht wird aufgrund der Ziffer 6

(vgl. Das Recheninstitut zur Förderung mathematischen Denkens o.J.)

 

Förderung des Stellenwertverständnisses

Um Schwierigkeiten beim Verständnis des Stellenwertsystems zu überwinden, bietet es sich an, Anzahlen über 10 zu verschriftlichen, um erste klärende Einsichten zu schaffen. Eine unterstützende Frage könnte dabei lauten: „Wie kann man so viele Würfel aufschreiben?“ (vgl. Abb. 3). Kinder werden auf diesem Wege angeregt, über eine Anzahl größer als 10 nachzudenken. Wenn 14 unter Verwendung der Ziffern 1 und 4 als Anzahl notiert wird, kann gezieltes Nachfragen entsprechende Anregungen für die kritische Sicht auf Anzahlen und deren Darstellung schaffen. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 166) Eine Frage könnte dabei lauten: „Warum wählst du die Ziffern 1 und 4 für die Darstellung, obwohl 1 + 4 doch 5 ergeben?“

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Abb. 3: Wie kann man so viele Würfel aufschreiben?
(In Anlehnung an: Gaidoschik 2007, S. 166)

Um ein Stellenwertverständnis tragfähig aufzubauen, sollte der  Anfangsunterricht nicht streng auf einen Zahlenraum begrenzt werden. Obwohl der Zahlenraum bis 20 bereits die Möglichkeit der ersten Zehnerüberschreitung beinhaltet, sollte ein Zahlenraum bis 100 genutzt werden, da  verallgemeinernde Erfahrungen zu den Regelmäßigkeiten von Zehnern und Einern erst mit Zahlen bis 99 gemacht werden können. (vgl. ebd., S. 163f.)
Beim Stellenwertverständnis ist ein zentraler Gedanke das Bündeln und Entbündeln. Dazu werden auf anschauliche Weise (mit Material und Visualisierungen) immer zehn Einheiten für die nächstgrößere Einheit „eingetauscht“ oder „zusammengesteckt“.  So werden 10 Einer, die einem Zehner entsprechen gebündelt und wiederrum 10  Zehner als  1 Hunderter dargestellt. Mit (Steck-)Würfeln, Dienes-Würfeln o.Ä. kann die Bündelung und das Verständnis für Stellenwerte haptisch erfahren werden. Erarbeitet und gefördert werden kann das Bündeln und Entbündeln mit diversen Anschauungsmaterialien - sowohl haptisch erfahrbar, als auch ikonisch und symbolisch. (vgl. Gaidoschik o.J., S. 1)

 

Literatur:

Das Recheninstitut zur Förderung mathematischen Denkens (Hrsg.) (o.J.): Hilfestellungen für die Erarbeitung eines Grundverständnisses zweistelliger Zahlen.
http://www.recheninstitut.at/mathematische-lernschwierigkeiten/fordertips/zahlenraum-100/ [28.06.2017]

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen - Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

Gaidoschik, Michael (o.J.): Zahlenraum 100 - Hilfestellungen für die Erarbeitung eines Grundverständnisses zweistelliger Zahlen. Wien. Aufgerufen am 05.07.2015, von http://www.recheninstitut.at/mathematische-lernschwierigkeiten/fordertips/zahlenraum-100/

Hußmann, Stephan/ Nührenbörger, Marcus/ Prediger, Susanne/ Selter, Christoph (2014): Mathe sicher können. Handreichungen für ein Diagnose- und Förderkonzept zur Sicherung mathematischer Basiskompetenzen. Natürliche Zahlen. Berlin: Cornelsen Schulverlage GmbH.

Moser Opitz, Elisabeth (2007): Rechenschwäche/ Dyskalkulie. Theoretische Klärungen und empirische Studien an betroffenen Schülerinnen und Schüler. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt Verlag.

Wartha, Sebastian/ Schulz, Axel (2013): Rechenproblemen vorbeugen, 2. Auflage, Berlin: Cornelsen Scriptor.

 

 

Dezimales Stellenwertverständnis

Das uns bekannte und genutzte Stellenwertsystem geht auf einen sehr langen Entwicklungsprozess aus der Vergangenheit zurück. Aufgrund der Zehnerbündelung wird der Zahl 10 und ihrer Potenzen eine besondere Bedeutung zugesprochen: Das Stellenwertsystem wird auch als Dezimalsystem bezeichnet. Darüber hinaus existieren noch weitere Stellenwertsysteme. 
So lassen sich im Vergleich mit der römischen Zahlschrift, Unterschiede erkennen. Die römischen Zahlen bestehen aus Buchstaben, die für eine feste Zahl stehen. Durch die Reihenfolge und Anzahl der Buchstaben werden die Zahlwerte zusammengesetzt. Das System führt dazu, dass es mitunter komplizierte und lange Zahlen geben kann, die in der Folge das Rechnen verkomplizieren. (vgl. Padberg 2009, S. 53ff.)

 

Besonderheiten des Dezimalsystems

Das dezimale Stellenwertsystem gilt hingegen als „elegant“ und effizient. Dieser Vorteil geht jedoch mit einem Verlust der Anschaulichkeit und einer erhöhten Anforderung an die Abstraktion einher. Beim dezimalen System steht eine Ziffer nicht mehr direkt für einen Wert (wie z.B. V in römischer Zahlschrift für 5 steht), sondern eine 5 kann je nachdem an welcher Stelle der Zahl sie steht für fünf, fünfzig, fünfhundert usw. stehen (vgl. Abb. 4). Die Ziffer gibt in diesem Fall die Anzahl der entsprechenden Bündelungseinheit (Einer, Zehner, Hunderter etc.) an. Man spricht von einem Zahlenwert der Ziffer.  Darüber hinaus ist die Stelle der Ziffer innerhalb des Zahlwortes für die Mächtigkeit der Bündelungseinheit entscheidend, bei denen es sich um Potenzen der 10 handelt. Dies wird als Stellenwert der Ziffer bezeichnet. Durch den Stellenwert müssen alle Bündel mit einer Ziffer besetzt werden, was die Notation der 0 nötig macht, wenn größere Bündel der Zahl besetzt sind (z.B. 0 Zehner bei 501, nicht aber 0 Zehner bei 3). Die feste Stelle macht es möglich, dass bei der Ziffernnotation einer Zahl kein Hinweis auf den Stellenwert gemacht werden muss und z.B. 3H 5Z 8E nicht nötig, sondern 358 eindeutig ist. (vgl. Padberg 2009, S. 55f.)

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Abb. 4: Die Ziffer 5 kann durch ihre Stelle verschiedene Werte darstellen

Das dezimale Stellenwertsystem zeichnet aus, dass die Stellen jeweils die Anzahl der Zehnerpotenzen darstellen: Bei den Einern handelt es sich um die Bündel von 100, die als Stelle rechts notiert werden. Davor stehen die Zehner, die 101 entsprechen. Nachfolgend sind mit Hundertern (102), Tausendern (103) usw. die Bündel aus jeweils 10 Einheiten der jeweils niedrigeren Bündel gefasst (vgl. Abb. 5). Aus 10 Einern wird 1 Zehner, aus 10 Zehnern ein Hunderter usw. Dadurch kann das Dezimalsystem alle Zahlen mit lediglich 10 Ziffern (0,1,2,3,4,5,6,7,8,9) bilden.(vgl. Padberg 2009, S. 55f.)

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Abb. 5: Dezimale Stellenwerte

Linktipp: Bündelungs- & Entbündelungsprozesse

 

Dezimalzahlen

Das Prinzip der Bündelung von 10 gleichen Bündeln zu einem nächstgrößeren Bündel kann auch in die andere Richtung durchgeführt werden. Dieser Prozess wird als Entbündelung bezeichnet. Ein Bündel wird in 10 gleich große Teile der nächstkleineren Bündelungseinheit zerlegt. Vor Einern können damit Zehntel, Hundertstel, Tausendstel usw. stehen, dessen Stellenwert durch ein Komma rechts vom Einer kenntlich gemacht wird (vgl. Abb. 6). Bei der Erweiterung des Zahlenraums von den natürlichen Zahlen zu positiven rationalen Zahlen, die in der Sekundarstufe erarbeitet werden, ist ein tragfähiges Stellenwertverständnis besonders wichtig. Die Dezimalzahlen begegnen Kindern auch im Alltag, z.B. bei Geldbeträgen. Sie als entsprechende Menge zu verstehen, ist für ihren Alltag wichtig. (vgl. Padberg/ Wartha 2017, S. 177ff.)

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Abb 6: Dezimalzahl

Sowohl die korrekte Sprechweise, als auch die richtige Notation können Kindern Schwierigkeiten bereiten. Auch die Zahlenraumerweiterung bringt für Lernende neue Herausforderungen mit sich. Für die richtige Notation muss das Verständnis für den Bezugspunkt der Dezimalzahl verstanden werden (das Komma und nicht mehr die letzte Stelle einer Zahl markiert den Einer). Darüber hinaus ist die Reihenfolge der „neuen“ Stellenwerte zentral. (vgl. Prediger und Hußmann 2014, S.101)

 

Literatur:

Padberg, Friedhelm (2009). Didaktik der Arithmetik. Für Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung (3. erweiterte, völlig überarbeitete Auflage). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

Padberg, Friedhelm/ Wartha, Sebastian (2017): Didaktik der Bruchrechnung. 5. Auflage. Berlin: Springer Verlag GmbH Deutschland.

Prediger, Susanne/ Hußmann, Stephan (Hrsg.) (2014): Mathe sicher können: Diagnose- und Förderkonzept zur Sicherung mathematischer Basiskompetenzen. [1]: Handreichungen für ein Diagnose- und Förderkonzept zur Sicherung mathematischer Basiskompetenzen: Brüche, Prozente und Dezimalzahlen: für Lehrerinnen und Lehrer. Berlin: Cornelsen.

 

 

Bündelungs- & Entbündelungsprozesse

Ein klarer Vorteil des Dezimalsystems gegenüber der römischen Zahlschrift zeigt sich beim konkreten Rechnen: Um zwei Zahlen miteinander verrechnen zu können oder eine neue Zahl zu bilden, wird das Prinzip der fortgesetzten Bündelung benötigt. „Bündeln“ bezeichnet zunächst das Zusammenfassen von Elementen zu gleich großen Gruppen. Wie viele Elemente gebündelt werden, ist vom Bündelungssystem abhängig . Beim Dezimalsystem wird bekannter Weise eine Menge von10 gebündelt. Dies bedeutet, dass immer 10 Elemente derselben Bündelung zur nächst größeren Bündelung zusammengefasst werden müssen. Zehn Einer werden ein Zehner, zehn Zehner werden ein Hunderter usw. (vgl. Abb. 7)

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Abb. 7: Fortgesetzte Bündelung

Grundlegend bei der fortgesetzten Bündelung ist, dass sie prinzipiell immer durchgeführt werden muss: Solange weiter gebündelt werden kann, wird weiter gebündelt. Beispielsweise bei der Zahl 634 werden zunächst 630 Einer zu 63 Zehnern gebündelt. Da diese weiterhin mehr als 10 sind, werden aus 60 Zehnern 6 Hunderter, sodass schlussendlich 6 Hunderter, 3 Zehner und 4 Einer bestehen. Durch dieses Prinzip können mit lediglich 10 Ziffern (0 bis 9) alle Zahlen dargestellt werden. (vgl. Krauthausen/ Scherer 2007, S. 17f.)

Beim Bündeln hat die Null eine besondere Bedeutung. Vor allem in der Stellenwerttafel kann es vorkommen, dass null Einer nicht notiert werden und es dadurch zu Fehlern in der Gesamtzahl kommt. Nur wenn der Platz des Zehners mit einer Ziffer besetzt ist – und sei es die 0 – kann die Stelle als Zehner identifiziert werden (vgl. Abb. 8). (vgl. Gaidoschik 2007, S. 170)

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Abb. 8: Fehlende Nullen in der Stellenwerttafel können zu Fehlern bei der Übersetzung in eine Zahl führen

 

Bündelungen und Entbündelungen in der Förderung

Erste Erfahrungen mit dem Prozess der Bündelung können von Kindern intuitiv gemacht werden. Dies führt gleichzeitig zu ersten Einsichten in das Verständnis des Stellenwertsystems.
So können Kinder bspw. die Aufgabe gestellt bekommen eine größere Anzahl (>10) abzuzählen und diese zu verschriftlichen.  Die Einsicht ist entscheidend, dass das einzelne Abzählen der Elemente mühsam und auf Dauer keine geschickte Lösung ist. Auch die Nachfrage, warum z.B. die Ziffer 1 und 2 „zwölf“ darstellen, obwohl 1 + 2 = 3 ist, setzt Impulse, das bloße Abzählen und Verschriftlichen zu hinterfragen.
Ungeordnete Gegenstände (Würfel eignen sich in besonderer Weise) lassen sich bündeln, indem immer 10 zusammengefasst werden. Die Würfel können zu einer Stange vereinigt werden, die einen Zehner darstellt. Durch gezieltes Nachfragen und entsprechende Handlungsimpulse sollten Kinder an die handelnde Bündelung herangeführt werden und ihnen sollte der Vorgang bewusst werden. 
Um den Prozess der Bündelung verstanden zu haben, ist die konkrete Versprachlichung unabdingbar. Aus diesem Verständnis sollte anschließend die Verschriftlichung erwachsen. Leider kommt es auch hier oftmals zu Fehlvorstellungen: Viele Kinder haben Schwierigkeiten mit der vorderen bzw. hinteren Ziffer einer Zahl, also dem, was zuerst genannt und zuerst geschrieben wird. Obwohl es zunächst um die Bündelung an sich gehen sollte, ist die konventionelle wörtliche Benennung der Zahlen mit Kindern zu thematisieren. Um die Verschriftlichung zu vereinfachen, eignet sich eine Stellenwerttafel, in die Kinder die Zahlen nach der Bündelung jeweils eintragen (vgl. Abb. 9). (vgl. Gaidoschik 2007, S. 167)

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Abb. 9: Stellenwerttafel

Beim Bündeln können Fehler dahingehend geschehen, dass z.B. 4 Zehner und 13 Einer zu einer Zahl gebündelt werden sollen und 13 nicht in 1 Zehner und 3 Einer gebündelt werden, sodass 413 notiert wird, statt 53. Solche Fehler können für den Lernprozess gut und lehrreich sein und müssen besprochen werden, um den Kindern die Konvention und Regeln und deren Sinn zu vermitteln. Die Bedeutung des stellengerechten Schreibens zu vermitteln ist zentral, da die Bündelung z.B. in der Stellenwerttafel zu einer Schreibweise führt, die in eine Zahl übertragen werden kann. So kann sich von der Tabelle gelöst und an ihr erkannt werden, an welcher Stelle Einer, Zehner und Hunderter notiert werden. (vgl. ebd., S. 169)

Auch Entbündelungsprozesse können mit Material erfahren werden. Besonders geeignet sind dafür Steckwürfel, die zunächst zu Zehnerstangen gebündelt und anschließend wieder auseinander genommen werden können, sowie das Dienes-Material, welches Einerwürfel, Zehnerstangen, Hunderterplatten usw. umfasst. Richtig eingesetzt bietet das Dienes-Material durch seine besondere Struktur des dezimalen Stellenwertsystems die Möglichkeit, die Beziehung zwischen Einern, Zehnern, Hundertern und Tausendern zu thematisieren, zu veranschaulichen und zu „begreifen“. Das feste Material, bei dem eine Zehnerstange nicht auseinandergenommen werden kann, arbeitet mit dem Eintauschen von einer Zehnerstange in 10 Einer und andersherum. Damit werden Bündelungs- und Entbündelungsprozesse haptisch erlebt. Wenn 10 Einer gegen 1 Zehner getauscht werden und 1 Zehner gleichzeitig gegen 10 Einer, können Aufgaben wie 30 – 1 gelöst werden, indem 1 Zehner in 10 Einer getauscht wird, von denen dann 1 Einer abgezogen wird. So werden auch Operationen auf Ebene der Stellenwerte veranschaulicht. (vgl. Hußmann/ Nührenbörger/ Prediger/ Selter 2014, S. 21f.)

Linktipp: Darstellungsmittel & Darstellungsformen

 

Literatur:

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen - Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

Hußmann, Stephan/ Nührenbörger, Marcus/ Prediger, Susanne/ Selter, Christoph (2014): Mathe sicher können. Handreichungen für ein Diagnose- und Förderkonzept zur Sicherung mathematischer Basiskompetenzen. Natürliche Zahlen. Berlin: Cornelsen Schulverlage GmbH.

Krauthausen, Günter/ Scherer, Petra (2007): Einführung in die Mathematikdidaktik. 3. Auflage. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

 

 

Darstellungsmittel & Darstellungsformen

Zum Stellenwertverständnis gehört ebenfalls die Übersetzung von Zahlen in ihrer Sprechweise in ihre Ziffer-Notation. Vor allem im Deutschen sind die Darstellungsweisen von Unregelmäßigkeiten und Ausnahmen geprägt. Während viele Zahlen absolut unregelmäßig gesprochen werden (z.B. „zwölf statt „zweizehn““) weichen auch die Regelmäßigkeiten, die es für viele Zahlen gibt, von einer einheitlichen Notation ab. Wenn von „dreihunderteinundsechzig“ gesprochen und „361“ geschrieben wird, wird zwar der Hunderter zuerst gesprochen und geschrieben, allerdings dann der Zehner notiert und der Einer gesprochen. Vor allem in den ersten Schuljahren kommt es zu Verwechslungen, die im Lernprozess abgebaut werden sollen und durch die Thematisierung der Struktur und Übung der Schreib- und Sprechweise gefördert werden sollen. (vgl. Hußmann/ Nührenbörger/ Prediger/ Selter 2014, S. 21)

Eine Übung zu der korrekten Schreib- und Sprechweise können beispielsweise Zahlendiktate sein. Hierbei sollen Kinder gesprochene Zahlworte als Ziffern notieren. Dabei ist darauf zu achten, dass die Zehner vor den Einern geschrieben werden. Dadurch lernen Kinder die Zahlen beim Hören zu gliedern und Einer und Zehner (bzw. weitere Stellenwerte) zu identifizieren und den Stellen gerecht zu notieren. (vgl. Gaidoschik 2007, S. 173)

 

Stellenwertverständnis mit Material entwickeln

Um Bündelungen zu verstehen ist das aktive Handeln mit Material für Kinder wichtig. Steckwürfel eigenen sich vor allem für die Bündelungsprozesse, da hier die Zehnerstrukturen selbst gebaut werden können und im Gegensatz zu losen Würfeln fixiert bleiben. Auch die Entbündelung ist mit Steckwürfeln in der Einführung besser ersichtlich, als z.B. mit Systemmaterial bzw. Dienes-Material. Die Zehnerstangen sind hier konstant und damit nicht direkt für die Kindern entbündelbar. Stattdessen müssen sie zunächst eingetauscht werden. Das Dienes-Material kann u.U. dazu verleiten, aus dem Zehner ein neues „Ding“ (als „Stange“) zu machen und den Zusammenhang zu 10 Einern zu verlieren. Um dem entgegenzuwirken, kann es sinnvoll sein, zunächst mit Steckwürfeln und erst später mit Systemmaterial zu arbeiten. Derartige Hindernisse oder Nachteile sollten berücksichtig werden, um bei Schwierigkeiten bewusst entgegen wirken zu können.
(vgl. ebd., S. 168f.)

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Abb. 10: Dienes-Material

Das Dienes-Material besteht aus Einerwürfeln, maßstabgerechten Zehnerstangen, Hunderterplatten usw. (vgl. Abb. 10). Das Material hat den Vorteil, dass die 10-er Bündelung zur nächsten Stelle veranschaulicht wird (z.B. 10 Einerwürfel nebeneinander gelegt ergeben 1 Zehnerstange). Das einfache Legen von Zahlen und Rechnungen mit diesem Material bewirkt aber noch kein tiefes Verständnis über den Aufbau von Zahlen und darüber, was Zehner und Einer (Hunderter, Tausender, Zehntausender, ...) konkret bedeuten. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Beziehungen der einzelnen Stellendarstellungen gezielt zu erarbeiten. Kindern muss der Zusammenhang – also z.B. was hat der Einerwürfel mit der 100er-Platte zu tun? – klar sein. Darüber hinaus sollte die Handlung mit dem Material mit anderen Darstellungen des Stellensystems (z.B. Stellenwerttafel und additive Zahlzerlegung) verknüpft und die Beziehungen thematisiert werden, um ein grundlegendes Verständnis aufzubauen. Der Materialeinsatz verfolgt das Ziel, dass die Lernenden eine Vorstellung vom Bündel und Entbündeln erhalten und diese bildliche und haptische Vorstellung später mental, ohne Materialnutzung, verwenden können. Sobald ein Kind ein Verständnis für das Stellenwertsystem entwickelt hat, kann der Zahlenstrahl  den Aufbau des Zahlenraums hilfreich unterstützen. (vgl. Das Recheninstitut zur Förderung mathematischen Denkens o.J.)

Stellenwerttafeln sind ebenfalls eine Darstellungsform der Zahlen, die das Stellenwertverständnis fördern, wenn sie hinreichend thematisiert und in ihrer Darstellungsfunktion verstanden wurden (vgl. Abb. 11). Besonders die Verbindung von Stellenwert und Zehnerpotenz wird in der Tafel fixiert und auch die fortgesetzte Bündelung kann hier veranschaulicht werden.

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Abb. 11: Stellenwerttafel

Neben der rein symbolischen Darstellung der Zahlen in Stellenwerttafeln und dem haptischen Dienes-Material bietet die vereinfachte Darstellung des Würfelmaterials (teilweise bei Kindern auch als Geheimschrift bekannt) eine Möglichkeit die Stellenwerte zu veranschaulichen und gleichzeitig zu notieren (vgl. Abb. 12).

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Abb. 12: Vereinfachte Darstellung des Würfelmaterials

Den Umgang mit Anschauungsmaterial thematisiert auch das folgende Diagnose- und Fördermaterial zum Stellenwertverständnis. Es nutzt das Dienes-Material und die Stellenwerttafel. Letztere soll einer ersten Abstraktion von Zahlvorstellungen dienen und vor allem den Wert der einzelnen Ziffern einer Zahl besonders deutlich herausstellen.

 

Weiterführende Literatur und Linktipps:

Linktipp: KIRA: „Stellenwertverständnis“

 

Literatur:

Das Recheninstitut zur Förderung mathematischen Denkens (Hrsg.) (o.J.): Hilfestellungen für die Erarbeitung eines Grundverständnisses zweistelliger Zahlen.
http://www.recheninstitut.at/mathematische-lernschwierigkeiten/fordertips/zahlenraum-100/ [28.06.2017]

Gaidoschik, Michael (2007): Rechenschwäche vorbeugen - Erstes Schuljahr: Vom Zählen zum Rechnen. Wien: ÖBV HPT.

Hußmann, Stephan/ Nührenbörger, Marcus/ Prediger, Susanne/ Selter, Christoph (2014): Mathe sicher können. Handreichungen für ein Diagnose- und Förderkonzept zur Sicherung mathematischer Basiskompetenzen. Natürliche Zahlen. Berlin: Cornelsen Schulverlage GmbH.